Da ist in Hannover ja eigentlich nur ein Beitrag möglich. Oder zwei, oder drei – vielleicht sogar vier?
Erstmal das Offensichtliche: Nanas und andere Straßenkunst ist in Hannover seit den 70ern spätestens abstrakt. Die Nanas haben dementsprechend Kontroversen ausgelöst:
Von der art-Seite:
„Es ist 1974, Nikis bunte, dauerschwangere Nanas stehen vor der Altstadt und in Hannover ist die Hölle losgebrochen. Hunderte Wutbürger pöbeln im Kongresszentrum um Einlass zur Diskussion „Die Nanas und wir“. Die vom Veranstalter Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) initiierte Diskussion im Beethovensaal fasst nur 800 Plätze und ist bereits überfüllt. Also entschließt man sich dazu, während der laufenden Veranstaltung in die größere Niedersachsenhalle umzuziehen. Es wird gejohlt, gepfiffen und gebuht, das Verhältnis der Brüste zum Kopf diskutiert und man sorgt sich, dass Autofahrer von den fülligen Frauenfiguren abgelenkt würden.“
„Bei der Suche nach der hannoverschen Jeanne D’Arc findet sie im Gespräch mit Passanten die Namen für ihre drei Nanas: Caroline, nach der Astronomin und Kometenforscherin Caroline Herschel, Sophie, Garten-versessene Kurfürstin von Hannover, und Charlotte, nach Goethes Lotte Kestner (in echt Charlotte Buff) aus seinem Bestseller „Die Leiden des jungen Werthers“.“
So, nun wisst Ihr auch, dass die Nanas bei uns mit Namen versehen sind, die sie an Hannover binden. Ob es Frau Herschel, Kurfürstin Sophie von Hannover und Frau Buff gefallen hätte, in moderner Form gedacht zu werden? Ich glaube, die Kurfürstin, die durchaus für Erneuerung und Verschönerung zu haben war (wer hat bei uns den Barockgarten erfunden? Eben!), hätte sich nach anfänglichem Entsetzen gewöhnt, wie die Hannoveraner auch, die jetzt eben nicht mehr nächtens mit schwarzen Farbtöpfen vor den Figuren stehen und sie übertünchen.
Andere Straßenkunst war nicht ganz so augenfällig und daher auch nicht so vehement bekämpft. (Das verlinkte Beispiel war auch nicht wirklich abstrakt, eher … surreal).
Hannover hat eine Skulpturenmeile, die eine Menge abstrakter Kunst zu bieten hat.
Und was Hannover noch hat – Punkt 2 zu abstrakt – (außer zu viel Geld, wie manche Kritiker an abstrakter Kunst sarkastisch behaupten) – ein Museum für moderne Kunst. Das Sprengel-Museum beherbergt u.a. eine Menge anderer Werke von Niki de Saint Phalle (die in der Realität nicht so heißt, Ihr habt Euch das sicher schon gedacht, ihr richtiger Name ist: Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle), weil die Künstlerin der Stadt einen großen Teil ihres Nachlasses übereignete.
Außerdem sind dort Schwerpunkte deutscher Expressionismus und die französische Moderne.
Einer der bekanntesten hannoverschen Künstler, Kurt Schwitters, wird dort mit einem eigenen Archiv geehrt.
Und ja, das Museum ist benannt nach der Schokolade …
„Ausgangspunkt des Museums ist eine Schenkung von Margit und Bernhard Sprengel, die im Jahr 1969 ihre umfangreiche Kunstsammlung der Moderne weitestgehend der Stadt Hannover überließen. Der Schokoladenfabrikant Bernhard Sprengel unterstützte den Bau des ersten Museumsabschnitts mit einem Zehntel des veranschlagten Baupreises.“ In Hannover sind Kapitalisten* noch dem „Eigentum verpflichtet“-Grundsatz des Grundgesetzes treu, siehe als weiteres Beispiel die Familie Bahlsen.
*Ich meine das wertneutral, im Sinne von Unternehmer, Kapitalgeber, heute wird es ja oft als Schimpfwort gebraucht. So ist das hier nicht gemeint!
Und wo ich gerade Kurt Schwitters erwähnte – das wäre Punkt Nummer drei, über den ich bei Abstraktes in Hannover schreiben könnte. Kurt Schwitters war Hannoveraner, durch die Nazis verfolgt, floh er erst nach Norwegen und dann nach England, wo er auch 1948 starb. Erst 1970 wurden seine Überreste nach Hannover überführt und nun liegt er hier begraben.
So schändlich gingen wir früher gegen Abstraktes in Hannover vor
Und dann kam Niki … Danke, Niki!
Der vierte Punkt geht dann von der Bildenden Kunst weg zur Darstellenden Kunst hin:
Wir haben hier auch Modernes, teilweise „abstraktes“ Theater. Theater, das nicht nur, wie die guten alten Nanas, Kontroversen auslöst. Abstrakt ist im Theater natürlich anders als bei der Malerei. Aber eine abstrakte Inszenierung eines historischen Stückes kommt z.B. ohne einen großen Kostümfundus aus. Verändert manchmal auch die Aussagen des ursprünglichen Stückes. Betont Nebenstränge, oder verdreht und verändert, was im eigentlichen Stück geschrieben steht. Nicht alle Theaterzuschauer mögen das.
Tanztheater, hier in Hannover auch reichlich vertreten, MUSS sogar abstrahieren. Denn „seinen Namen“ – oder irgendeine andere Botschaft zu tanzen, erfordert die Umsetzung von Worten und Gefühlen in Bewegungen.
Und wenn wir schon beim Tanz sind, ist es zur Musik nicht weit: Welchen Musikstil würdet Ihr mit abstrakter Musik verbinden? Bei mir ist das Jazz. Und über Hannovers Open-Air-Jazzfestival zu Himmelfahrt habe ich ja schon mal berichtet.
Also, Hannover ist bei allem Pragmatismus und aller Provinzialität ziemlich abstrakt. Wie immer in Hannover erfordert es ein genaueres Hingucken. Hannover drängt sich auch abstrakt nicht auf.