Ich weiß, dass Bibliotheken nichts spezifisch deutsches sind, aber ganz
ehrlich, das sind Biere auch nicht – die beliebteste deutsche Biersorte
ist aus Pilsen – das liegt nicht in Deutschland! Trotzdem wird Deutschland
wie kein anderes Land mit diesem Getränk verbunden.
Und so ist für mich einer der Leuchttürme Deutschlands das deutsche
Bibliothekswesen, vor allem die vielen kleinen, wegen Sparmaßnahmen
überall von der Schließung bedrohten Stadtbüchereien.
Die Deutschen waren mal ein Volk der Dichter und Denker. Noch heute gibt
es einige sehr sehenswerte Bibliotheken gefüllt mit historischen Schätzen
auch hier im Norden (ein Beispiel: Herzog August Bibliothek in
Wolfenbüttel).
Aber woran ich mich wirklich erinnere, wenn ich Bibliothek höre, sind die
Stadtbibliotheken. Meine stand in Höxter. Da ich nicht in Höxter wohnte,
musste ich geduldig warten, bis meine Großeltern sich auf den Weg in die
Stadt machten (wir wohnten 15 km entfernt in einem kleinen Dorf). Und das
war nicht jede Woche der Fall.
Die Bibliothek war in einem Altbau untergebracht an einem Platz, an dem es
auch zum Amtsgericht ging. Die Räume waren hoch und hell, das klassische,
quietschende Bibliotheksparkett in heller Optik, dazu Regale aus hellem
Holz, in denen eine Menge Unterhaltungsliteratur stand. Bücher, die
eindeutig schon in den 80ern über 20 Jahre alt waren, die „Don Camillo und
Peppone„-Reihe ist so eine Entdeckung aus dieser Bibliothek. (Ja, dazu
gibt es auch Bücher! Ich war damals erstaunt.) Genauso wie zu „Der Doktor
und das liebe Vieh„. (Huch!)
Vorbestellt habe ich Bücher dort auch, manchmal. Auch über 10 Jahre nach
dem Erscheinen waren z.B.die silbernen Bände der Perry-Rhodan-Reihe ständig
ausgeliehen, Ich schaffte es immerhin bis ca. Band 14 – oder so – bis ich
des ständigen Dreischritts (Entdecken einer neuen intelligenten
Alienzivilisation, Kampf gegen und Sieg über diese und als dritter Schritt
Verbündung gegen einen gemeinsamen Feind) müde wurde.
Ich las so viele Autoren, die ich mir nie gekauft hätte, da ich die
Autoren nicht kannte. Entdeckte neue Welten für mich, hob alte Schätze
(kein materieller Wert), fand Rätselhaftes, las auch mal Anspruchsvolles
(so kam ich an „Der Zauberberg“ oder auch an „Billard um halb zehn“).
Die Tür zur Bibliothek war für mich nicht nur eine Tür – sie war ein
Portal, hinter dem sich 1000e von Welten verbargen. Die Tickets zu diesen
Welten (Bücher) hätte ich mir nie von meinem Taschengeld leisten können.
Aber in der Bücherei konnte ich meinem Lesetick nachgehen, ohne mich zu
ruinieren. Mein Geist ging wandern.
Später bin ich dann hier in Hannover in diversen Stadtteil-Büchereien und
auch im Hauptgebäude der Stadtbibliothek gewesen, habe auch
wissenschaftliche Bibliotheken (Universitätsbibliothek, Landesbibliothek
und sogar Landtagsbibliothek) genutzt.
Aber diese Freude, wie ich sie in der Stadtbibliothek Höxter empfand, der
Zustand eines noch teilunentdeckten Paradieses, das gab es hier nur in den
Stadtteilbibliotheken, die ein ähnliches Publikum bedienten wie die kleine
Stadtbibliothek in Höxter:
Alphabetneulinge, Blaustrumpfbewahrer, Chemiechaoten,
Detektivgeschichtendeduzierer, Erinnerungsentdecker, Fiktionsflüchtlinge,
Grillgourmets, Hilfsheimwerker, Independentindianer, Jugendjargonjunkies,
Kinderbuchkonsumenten, Liebesgeschichtenliebhaber, Märchenmarodeure,
Neuigkeitennutzer, Orientoldies, Puppenhausplaner, Qualitätsquertreiber,
Romanrezipienten, Sachbuchsucher, Tipptester, Ungeheuerusurpatoren,
Volksliedverkünder, Wichtelweise, Xanaduxenophobiker, Yachtyuppies und
Zivilisationszwangsneurotiker.