Gestern war Lange Nacht der Museen hier in Hannover. Und zwar die ZWANZIGSTE. Ein schönes Jubiläum sollte man meinen, Zeit mal so richtig auf die Kacke zu hauen und mit Stil zu feiern.
Denkste Puppe, nicht in Hannover.
Hier denkt man sich:
Museumsbesucher sind eh alle schon älter. Die waren schon die letzten 19 mal dabei. Und wissen auch ohne Werbeaktion, dass Lange Nacht der Museen ist. Also statt MEHR Geld für die Werbung auszugeben, drucken wir Flyer, die nur im Museum erhältlich sind (in den Bahnen und Bussen hab ich jedenfalls keine gesehen), machen keine Plakataktion wie sonst in den Jahren zuvor und die Museen, die mitmachen, machen auch nicht so viel, wie vorher, weil die Leute ja eh kommen.
Denkfehler 1 – die Lange Nacht der Museen ist nur für die Leute, die ich eh in Museen erwarte. Die Lange Nacht der Museen soll ja GERADE neue Leute fürs Museum begeistern. Also muss ich MEHR tun, nicht weniger.
Denkfehler 2: Die Leute, die sowieso schon ins Museum kommen wollen das gleiche sehen und hören wie sonst auch. NEIN – die Lange Nacht der Museen soll ja gerade neue Perspektiven eröffnen, Museen entstauben und auch die üblichen Museumsgänger mit neuen Eindrücken ausstatten!
Denkfehler 3: Museen müssen immer todernst in der Selbstdarstellung sein. Das schreckt eventhungrige junge Museumsgänger eher ab. Schlaftablettenartige, formelgefüllte Vorträge über das Gezeigte erinnern zu sehr an die bereits in der Schule verhassten und von Kabarettisten immer wieder zu Recht aufs Korn genommene Kunstphrasendresch-Maschinen. Braucht kein Mensch.
Und so hat Denkfehler 1 dazu geführt, dass mit der Konkurrenz durch das wirklich schöne Wetter kaum jemand auftauchte. Wie uns um 23 Uhr im Landesmuseum eine Dame verriet: Es waren nicht mal 1000 Leute da. NICHT MAL 1000. Ca. ein Zehntel von dem, was sonst kam!
Denkfehler 2 – wieder Landesmuseum:
Ich schau gerne im Landesmuseum vorbei, es ist mit seiner klassischen Gemäldesammlung ein herrlicher Kontrapunkt zum Sprengel, in dem ich auch war:
(ja, Kontrapunkt ist auch so eine Phrase …)
Aber ich hatte es schwer, den Freund, der mit mir durch die Nacht lief, davon zu überzeugen, dass es lohnenswert sei, dort aufzutauchen. Auf der Website wurde nur verraten, dass man sich „ums Mittelalter“ kümmert. Keine Hinweise darauf, was man sonst noch zu sehen bekommt, welchen Themen des Mittelalters man das Augenmerk schenkt, wann welche Führungen stattfinden. Wir gingen aber, weil es vom Sprengelmuseum zurück zum Museum August Kestner oder auch auf dem Weg zur Stadtbibiliothek auf dem Weg liegt, trotzdem vorbei. Und hörten einen Kurzvortrag über Architektonische und Perspektivische Darstellung von 1400 bis ca. 1525. Mit einer sehr engagierten Führenden, mit einer äußerst kleinen Gruppe (konnte ich an den Fingern von zwei Händen abzählen und hatte noch Finger übrig), mit reichlich Zeit für Fragen, mit schönen Beispielen von Altären, denen ich SONST nicht diese Infos entnommen hätte. Schade, dass das Landesmuseum NICHT die Werbetrommel gerührt hat (auch wenn ICH so profitierte).
Wie sah mein Abend nun aus:
Ich traf mich mit besagtem Freund um 18 Uhr vor dem Museum für Energiegeschichte. Besagter Freund ist in der IT-Branche und wir bewunderten eine programmierbare Rechenmaschine aus dem Jahr 1935, mit der Materialwirtschaft und Entgeltzahlung vorgenommen wurde. Auf dem beigefügten Foto sah man – NUR MÄNNER. Also, die Herren waren nicht etwa mit Programmieren beschäftigt, sie wendeten die Maschine nur an!
Auch sehr schön waren die kleine Reiseschreibmaschine (nein, kein Kugelschreiber … eine Vorvariante des Laptops), die Rechenmaschine, und im Vergleich dazu ein Smartphone. Ca. ein Zehntel so klein wie die Rechenmaschine, und verglichen mit dem Buchungsautomaten vielleicht ein Hundertstel.
Mein Bruder hat Büromaschinenmechniker gelernt, in den frühen 80ern. Der hat sowas wie die Rechenmaschine und die Schreibmaschine noch in der Ausbildung kennen gelernt – heute wartet er Drucker. Repariert wird ja nicht mehr …
Im Museum für Energiegeschichte sahen wir uns ein Improvisationstheater an. Als sie eine Location suchten, warf ich „Tankstelle“ ein (ich hatte dem Freund in die Hand versprochen, dass ich nicht wieder etwas wie „Porno“ sage.) Uhm – ich kann nichts dafür, dass es in eine ekstatische Autowäsche mit vielen sexuellen Anspielungen ausartete, ehrlich, ich bin dieses Mal sowas von unschuldig!
Danach konnte ich den Freund überzeugen, mal beim Feuerwehrmuseum vorbei zu schauen. Das wird den Standort „Feuerwehrstraße 1“ bald verlassen, daher wurde es wirklich Zeit, dass ich endlich mal dort aufschlug. Es liegt ja auch gleich um die Ecke und so gingen wir dorthin. Dort gab es fast mehr engagierte Freiwillige als Leute, die sich interessierten. Auch das liegt an der Darstellung im Flyer. Bisher weigerte sich mein Begleiter nämlich, dort hin zu gehen, weil man ja „nur alte Helme“ sehen würde. Nein, natürlich nicht. Man erfuhr von Brandherren, die schon vor 400 Jahren vorbeugenden Brandschutz betrieben und tatsächlich auch entsprechende hoheitliche Macht hatten, das durchzusetzen! Man hörte von der Verpflichtung jedes Haus-Herren, einen Eimer, einen größeren Wasserbehälter und eine Leiter vorzuhalten. Man hörte von der Verpflichtung ALLER MÄNNER ZWISCHEN 20 und 50, im Brandfalle zu helfen. Diese Verpflichtung besteht angeblich noch immer, wird aber nicht mehr benötigt heutzutage.
850 Berufsfeuerwehrleute (Beamte) sichern den Brandschutz in Hannover, dazu kommen noch etliche Freiwillige Feuerwehren und auch Werksfeuerwehren, die natürlich vor allem ihren Arbeitgeber schützen sollen, aber bei einer Katastrophe sicher auch einspringen. Und was ich noch lustiges erfahren habe: Sie üben auf dem Truppenübungsplatz Bergen – den ich mal bei der Bundeswehr betreut habe. Voll des Lobes war der Feuerwehrmann. Natürlich nur, wenn dort keine Schießübungen der Truppe stattfinden.
Früher waren die Feuerwächter auf einem Kirchturm untergebracht, bis in Hamburg der Wächter auf seinem Turm verbrannte. Dann baute man FeuerWACHEN – jetzt wissen wir auch, warum es WACHEN heißt.
Die Wache bei mir ums Eck wird bald aufgegeben, das Gebäude ist 80 Jahre alt und man hat woanders schon neu gebaut. Dann muss sich auch die Feuerwehr nicht mehr durch die Südstadt quälen, wo sie in der Sallstraße stecken bleibt, sondern kann über die Einfallstraßen in die Nähe des Zielorts, von wo aus sie dann doch wieder kleinere Straßen benutzen muss – aber je weniger sich die großen Fahrzeuge durch kleine, enge Straßen quälen müssen, desto schneller sind sie!
Wir erfuhren etwas von der militärischen Geschichte (bis 1945 musste ein Feuerwehrleiter IMMER Offizier sein). Und dass einer der Hannoverschen Leiter tatsächlich auch noch Bücher geschrieben hat (und ein Bühnenstück). Dieses Museum war, wie ich mir das schon dachte, ein Highlight – nur leider sind sie in puncto Öffentlichkeitsarbeit nicht so gut wie im Feuerlöschen.
Womit wir wieder bei Denkfehler 1 wären!
Dass wir in Hannover weltweit die erste vollmotorisierte Löschflotte hatten, sie mal so am Rande angemerkt. Von wegen Provinz. Die Wagen fuhren auf Batterie (nein, nicht AAA) und der mit der schweren Pumpe war mit Dampfkraft betrieben (es war also ein Feuer auf dem Feuerwehr“auto“). Und dass Löschen im Winter für Feuerwehrleute lebensgefährlich war (weil die Autos auch noch reine Cabriolets waren), sei auch nicht vergessen. Ich könnte noch Stunden weiter schreiben, über die historischen Beatmungsgeräte (Frankenstein lässt grüßen) – und wir haben uns noch nicht mal die echten Feuerwehrwagen auf dem Hof angesehen!
Aber wir wollten ja noch weiter. Sprengelmuseum (nein, kein Schokoladenmuseum, aber Herr Sprengel, den Begründer, kennen wir natürlich von der Schokolade) war die nächste Station. Dort gab es eine Führung durch die Sonderausstellung, die eindeutig Denkfehler 3 beging. Ella Bergmann-Michel und ihr Mann Robert Michel waren das Thema dieser Ausstellung. Und die sehr kompetente Fachkraft verlor mich beim zweiten Objekt, das sie beschrieb. Ihre Phrasendrescherei, ihre teilweise kritiklose Identifikation mit den Ausgestellten, ihr durch komplizierte Ausdrucksweise nicht sehr eingängiger Vortrag … all das ließ mich mich zurück ziehen, ich sah mir stattdessen einen Werbefilm von Ella Bergmann-Michel gestaltet, an, der für Beiträge zur Erwerbslosenspeisung warb.
Dabei gefiel mir durchaus, was ich sah, und einige Aspekte der Lebensgeschichte sowie des künstlerischen Schaffens waren ja wichtige Informationen! Aber nicht so gestelzt. Das war der museale Alptraum, den wir aus der Schulzeit und aufgezwungenen Museumsbesuchen kennen. Leute, die nur selten ein Museum besuchen und nicht wenigstens solide Lateinkenntnisse hatten oder wenigstens an dergleichen Diktion gewöhnt waren, und sei es durch das Lesen entsprechender Fachliteratur, verließen den Vortrag wie sie herein kamen und wurden im Vorurteil bestärkt, dass Museen nichts für „normale“ Leute seien. (Ja, andere Meinungen sind erhältlich.)
Ich kannte die Dame schon aus früheren Vorträgen (was mir erst auffiel, als ich sie sprechen hörte) und kann nur hoffen, dass irgend jemand mal übers Herz bringt, ihr zu sagen, dass sie doch mal so reden solle, dass auch Leute ohne Abitur ihr folgen können. Ich halte mich (vielleicht ja fälschlich) nicht für blöd, aber ich fand diesen Vortrag SUPER ANSTRENGEND zu verstehen – und ich hab immerhin ein Gumminasium besucht (nein, keine Clownschule, obwohl wir auch Clowns hatten), Latinum gemacht, gute Kunstlehrer gehabt.
Auf diese Weise predige ich Kirchen und Museen leer … Wissenschaft ist schön, und wenn sie vor einem Fachpublikum diesen Vortrag hält, wird es nicht auffallen. Aber wenn sie ahnungslose „mal ins Museum hinein schnuppern“ wollende Museums-Touristen dazu bringen wollte, sich jetzt eine Jahreskarte fürs Sprengelmuseum zu holen, sorry, Thema verfehlt.
Es ist wirklich schade, weil die Werke der Künstler durchaus ansehnlich sind. Abstrakte Kunst, aber vom Feinsten.
Anschließend hörten wir uns noch den Rest vom Klavierspieler an, der sich tapfer durch ein ständig wechselndes Publikum spielte. Nicht unbedingt jedermanns Geschmack, aber ein paar der Stücke mochte ich durchaus. Seine Paganini-Variationen und ein Stück, das an Ragtime-Jazz erinnerte.
Und dann ging es eben „mal gucken, was sie im Landesmuseum haben“. Alternativ wären wir auch zur Stadtbibliothek gewandert, dort gab es eine Band. Aber im Landesmuseum sahen wir eben den gemütlichen Vortrag mit der fröhlichen (23 Uhr abends) gut informierten Vortragenden, die wenigstens so sprechen konnte, dass man sie verstand.
Letzte Station war das Museum August Kestner. Mal wieder Ägypten in der Taschenlampenführung, mal wieder so heiß, dass es kaum auszuhalten war. Ich bin rausgeflüchtet. Habe dann im kühleren Foyer auf meinen Begleiter gewartet.
Anschließend Taxi. Um 1 war ich daheim.
War die Lange Nacht der Museen toll? Ja, klar. Hätte man Sachen besser machen können? Aber sicher! Und zwar vieles.
Gehe ich nächstes Jahr wieder? Geplant hab ich das.
Trotzdem kann ich dieses Mal nur VIER Kokosnüsse geben. Die eine Nuss Abzug ist für die Denkfehler der Organisatoren.