Punkt, Punkt, Punkt – (7) – Heimat

Dies ist etwas, das ich nicht wirklich mit einem Foto füllen kann. Aber dieses Blog ist eh wortlastig. Und Fotos nehmen auch nur Speicherplatz weg – und ich habe doch nur ein kostenfreies Blog mit begrenztem Platz für Medien.

(Ach, ich immer mit meinen Entschuldigungen.)

Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wurde Heimat 1877 erstens definiert als „das land oder auch nur der landstrich, in dem man geboren ist oder bleibenden aufenthalt hat“, zweitens als „der geburtsort oder ständige wohnort“; an dritter Stelle wurde hinzugefügt: „Selbst das elterliche haus und besitzthum heiszt so, in Baiern.“

Gezeugt in BADEN, von einem Mann, der aus einer Familie von SCHWABEN kommt (einer meiner Urgroßväter hatte in seiner Geburtsurkunde stehen: „Ein echter und rechter Schwabe“) mit einer geflüchteten OSTPREUSSIN (geboren vermutlich in Königsberg), wurde ich geboren im BERGISCHEN LAND, getauft aber wieder mit Dreisamwasser, bin aufgewachsen und zur Schule gegangen in OSTWESTFALEN-LIPPE, studierte HIER, bin durchgefallen auch hier, habe neu begonnen, hier, bin in die KURPFALZ zwangsumgesiedelt worden dreimal für diverse Monate – dann zurück und in die SÜDHEIDE (sozusagen wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen) verfrachtet worden, schließlich Ende 2000 zurück gekehrt in diese Stadt;  und doch bin ich mir schmerzlich bewusst, dass ich keine „von hier“ bin.

Bin ich also wie mein Vater, ein Badener mit Schwäbischen Wurzeln? Dreimal kurz gelacht – ich bin nicht fähig, die Leute aus Baden zu verstehen, oder gar die aus Schwaben. Die Aufenthalte in Baden kann ich an den Fingern einer Hand abzählen.

Dann bin ich, wie meine Mutter, das Findelkind, das plötzlich, mit zwei Jahren, in Baden auftauchte, eine verkappte Ostpreußin? Nachgeboren, in diesem Fall? Ich wuchs zwar in einem Ostpreußen-Haushalt auf, aber ich lernte auch nicht das Ostpreußische Idiom. Und wenn auch für meinen (vermutlichen) Großvater und seine Geschwister die verlorene Heimat Ostpreußen war, für mich wurde das kleine Dorf im ERMLAND dies nicht.

Was also ist meine Heimat? Der Ort, an dem ich geboren wurde, den ich aber mit 5 Jahren verließ? Der Ort mit der hässlichsten Wallfahrtskirche der Welt? Von dem ich nur weiß, dass das Krankenhaus, an dem ich zur Welt kam (unter lautem Protest meiner Stiefgroßmutter, die ausrief: Oh Gott, das Kind ist rothaarig!) mittlerweile  eine Flüchtlingsunterkunft ist? (Wie passend 😉 )

Dann bestimmt doch die Region, in der ich zur Schule ging, und immerhin 13 Jahre meines Lebens verbrachte, sehr prägende Jahre? Nicht, wenn es nach den „Ureinwohnern“ dort geht. Für die Ost-Westfalen ist jeder Zugewanderte (sprich, wer nach dem Gr0ßen Vaterländischen Krieg dazu kam -also nach dem letzten, der gewonnen wurde, schätze ich, so genau definierten sie das nicht – also nach 1870/71) kein Ost-Westfale, frei nach dem Motto: Nur weil die Katze ihre Jungen im Pferdestall bekommen hat, sind es noch lange keine Fohlen. Und ich bin ja nicht mal dort geboren.

Dieses „Fremdsein“ hat sich mir eingeprägt.

Dann vielleicht hier, diese Stadt, in  der ich, mit Unterbrechungen, seit meinem Abitur lebe – also seit 1987, schon fast 3o Jahre. Nach der ich mein Blog benannt habe? Aus der ich Postkarten über Postcrossing in alle Welt verschicke?

Nein – man hört mir immer noch an, dass ich nicht von hier bin. Und Sprache ist Identität.

Teich

und Teig

klingen bei mir gleich.

Nicht so bei einem Hannoveraner.

 

Daher bin ich heimatlos.

Ein Zuhause habe ich natürlich. Mehr als nur ein Obdach. Nur eben keine Heimat. Da kann ich noch so sehr mit den Roten im Abstiegskampf zittern, die kulturelle Szene der Stadt verfolgen und diese Stadt promoten.

Und wer ist daran schuld? Die Nazis … Ohne sie gäbe es mich zwar nicht, weil meine Mutter dann nicht in Baden aufgetaucht wäre, aber dann wäre meine Mutter eben auch nicht heimatlos gewesen, hätte nicht ihrem (vermutlichen) leiblichen Vater hinter her ziehend mich in Neviges bekommen und wäre dann anschließend mit ihrer Familie nach Ost-Westfalen gezogen.

So, nun wisst Ihr, warum ich auch heute kein Photo für Euch von meiner Heimat habe. Wie soll ich etwas fotografieren, das es nicht wirklich gibt?

30 Antworten zu “Punkt, Punkt, Punkt – (7) – Heimat

  1. Hallo Frau Hunne,

    es klingt aus deinem Beitrag, dass du zu diesem Thema wirklich hin- und hergerissen bist. Vermutlich sind die drei Definitionen, die du genannt hast nicht die, mit denen du „Heimat“ einordnen kannst. Wo dich liebe Menschen willkommen heißen ist auch eine schöne Umschreibung. Das kannst du doch sicher von Hannover sagen, auch wenn euer Zungenschlag noch immer etwas anders klingt?

    Liebe Grüße
    Sandra

  2. Ich habe ganz oft genickt bei Deinem Text. Es geht mir ähnlich, was das Sammelsurium der Familienmitglieder betrifft. Da trafen dereinst Mecklenburger auf Sudetendeutsche mit böhmischer Herkunft 🙂
    Gut, dass ich mich quasi in der Mitte angesiedelt habe. Entspricht auch mehr meinem Temperament.

    • Zumindest kann man uns eines nicht vorwerfen: Aus einer Familie mit jahrhundertealter Inzucht-Tradition zu kommen 😉

      • Und genauso funktioniert die Evolution: Je größer der Genpool, aus dem sie schöpfen kann, desto erfolgreicher ist sie. Insofern bist du ein Erfolgsmodell. Schon immer haben Natur- und Hungerkatastrophen und Kriege große Wanderbewegungen ausgelöst und so die Gene neu gemischt. Ja, Tatsache ist natürlich auch, dass in solchen Notsituationen nur die fittesten überlebten und sich weiter fortpflanzen konnten, Darwin halt… Heute spielt auch die allgemein größere Mobilität und die Globalisierung eine große Rolle. Wer bleibt schon sein ganzes Leben an dem Ort, in dem er geboren wurde oder seine Kindheit verbrachte? Und doch sind wir geprägt von diesen Orten, ich merke es an mir selbst. Obwohl seit fast vierzig Jahren im Flachland ansässig, breitet sich noch immer ein angenehmes, „heimatliches“ Gefühl in mir aus, wenn ich in die Mittelgebirgslandschaft komme, in der ich meine Kinheit und Jugend verbracht habe. Genauso geht es mir, wenn ich Kasselääner Dialekt oder auch nur Tonfall höre, obwohl ich selbst wie auch meine Eltern und Großeltern Hochdeutsch gesprochen habe und ich sowieso mit acht dort weggezogen bin. Meine Haupt-Heimat ist aber da, wo wir uns ein Nest gebaut, unsere Kinder groß gezogen, den weitaus größten Teil unseres Berufslenens verbracht und uns ein Freunde-Netzwerk geschaffen haben.

  3. Hallo franhunne,
    Deinen wortreichen und sehr interessanten Artikel habe ich – nach jedem Satz – nickend gelesen.. Mir geht es – nein, natürlich nicht genau so – ähnlich wie Dir, in Bezug auf das Gefühl Heimat fühle ich mich ebenfalls heimatlos. Aber das ist ja kein Grund um traurig zu sein. Wenn wir da, wo wir jetzt leben, uns wohlfühlen, es uns gut geht, wir persönliche Bindungen haben, dann ist das gefühlte Heimat genug, gell.
    Liebe Valentinsgrüße
    moni

  4. Wenn Ich einen heimat-post schreiben wuerde haette ich auch kein photo (Ich habe heute leider kein Photo fuer dich lol), vielleicht kann ich mich weltenbuerger nennen wie herr luigi colani? btw: das mit der wallfahrtskirche stimmt, was hat sich herr boehm dabei gedacht… oder eher… was nicht?

  5. Sehr viele der Posts die ich heute gelesen haben, konnte gar nicht genau ihre Heimat benennen. Und irgendwie lese ich bei vielen auch etwas Traurigkeit heraus.
    Ich finde es schade das deine Eltern, dir kein Heimatgefühl vermitteln konnten. Aber sicherlich ist Heimat auch der Ort, an welchem man sich wohl und zu Hause fühlt.
    lg

    • Ich glaube, das ist der Preis, den wir zahlen für eine immer zunehmendere Flexibilisierung. Als ich aus der Schule kam, 1987, hieß es, man müsse flexibel sein, auch örtlich – also war ich flexibel – und seither habe ich das ständig wieder zu hören bekommen, dass Flexibilität heute DER Wert ist, der einem das Überleben sichert. Und so überlebe ich eben heimatlos. Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, ist es aber wohl Hannover. Wenn mich jemand, der hier geboren wurde, fragt, ist es schwieriger.

  6. Familientechnisch ist es in meiner Familie ganz ähnlich. Die Spannbreite reicht von der französischen Grenze bis zur tschechischen Grenze und dann noch ein bisschen Wien. Was soll man davon halten?
    Wenigstens bin ich nicht der einzige Luftwurzeln hier 😉
    LG Sabienes

  7. Hallo Frau Hunne,
    ich mag deine Beiträge sehr und freue mich, dass du bei PPP mitmachst.
    Meine Eltern wohnen noch immer dort, wo ich aufgewachsen bin, im selben Haus. Übernachte ich dort, schlafe ich in meinem alten (inzwischen natürlich umgestalteten) Kinderzimmer. Ich hab mich immer schwer getan, aus Berlin weg zu sein, und bin dankbar und glücklich, dass ich wieder ZUHAUSE bin.
    Aber… es ist sicher auch spannend und keinesfalls schlecht, wenn man etwas „herumgekommen“ ist.
    Liebe Grüße
    Claudia

    • Wenn du einen Ort hast, der für dich Heimat ist, ist das toll. Wenn du, so wie ich, in einer eher nomadenartigen Existenz lebst, hierhin und dorthin gespült wirst vom Leben (nicht alle Ortswechsel geschahen ja auf eigenen Wunsch), dann ist es einfach schwer, soetwas wie Heimat zu empfinden. Zumal ich an vielen Orten auf Distanz gehalten wurde.

      • DANKE!!! jetzt hab ich endlich die Erklärung für mein Oberfranken-Fiasko! ich bin nicht schuld, der Ort hat mich einfach auf Distanz gehalten. 🙂 Das passt und war auch wirklich so. Franken/Bayern halt… und Preußen, das kann nicht gut gehen,

      • So sieht das aus – die Leute sind freundlich, aber distanziert freundlich. Du gehörst nie so richtig dazu. Wenn sie von „Wir“ reden, bist DU nicht gemeint. Und daher ist es schwer, in solchen „exklusiven“ – also ausschließenden, im Original-Sinn – Gemeinschaften Fuß zu fassen.

      • du hast das perfekt auf den Punkt gebracht. fehlt nur noch: sobald du dich umdrehst, wird sich über dich das Maul zerrissen…

      • DAS passiert allerdings auch mit den „Einheimischen“ 😉

  8. Danke für den Beitrag. Bei mir ist es genauso, weder von der Abstammung noch von der persönlichen Geschichte her könnte ich irgendwie definieren, wo ich herkomme. Noch bis ins junge Erwachsenenalter hinein habe ich die Frage “Woher kommst du?“ gehasst. Als Pendant wollte ich immer eine korrekte, also minutenlange ausfühliche, Antwort geben. Erst mit Mitte Zwanzig war ich soweit, einfach “Hannover“ antworten zu können, auch wenn ich erst mit 18 in die Gegend gezogen war. Es war die für mich gefühlt richtige Antwort. Klar: hätte ich bis zum Abitur an einem einzigen Ort statt an fünf verschiedenen gelebt, dann wäre es merkwürdig gewesen, den Ab-Achtzehn-Ort als Herkunftsort zu bezeichnen, aber so passte es halt doch am besten. Naja, und mit Dreissig ging es dann nach Aachen, und seitdem komme ich halt da her; da bin ich inzwischen schmerzfrei 🙂

  9. Ich glaube, ich würde auf die Frage nach der Heimat ein Foto von der Erde hochladen. Oder zumindest Europa.

    • Nun, ich bin definitv keine Griechin – keine Chance die Sprache auch nur zu lesen (auch wenn die Buchstaben sich mit dem Russischen kreuzen). Ich bin auch keine Italienerin oder Spanierin oder gar Portugiesin – dort kann ich die Sprache eben auch nicht. In Frankreich habe ich Ahnen … aber ich spreche kein Französisch. Und nein, meine schwäbischen Ahnen sind nicht die Familie, aus der der offizielle Franzosenanteil kommt. Es ist sehr bunt in meiner Familie – mein Großvater sagte, er hatte noch im Kirchenbuch einen Eintrag gelesen von seinem Ur- oder Ur-Ur-Großvater, der den französischen Namen führte. Der Name wurde später eingedeutscht. Angeblich.

  10. Hast du ein interessante Familien Hintergrund und ich dachte du bist Hannoverin, aber du hast ein wenig von alles in dein Adern. Was sprichst du für ein Dialekt mit so viel Enfluss?

  11. Liebe Frau Hunne,

    ich habe das Problem, kein Heimat-Foto zu haben, mit einem kleinen Trick gelöst. 🙂
    Das, was du schreibst, könnte zu einem grossen Teil meiner Feder (Tastatur) entsprungen sein. Ich bin froh, dass ich in dieser Runde gleich bei mehreren Personen lesen konnte, dass sie heimatlos sind oder Suchende nach einer Heimat. Mein Urgrossvater war Italiener. Irgendwie hat sich die „Italianità“ noch nicht aus meinen Genen entfernt, denn ich fühle mich in Italien mehr zu Hause als in der Schweiz. Aus diesem Grunde verbringen wir seit der Pensionerung meines Mannes auch ca. ein halbes Jahr pro Jahr in Italien (im Wohnwagen). Ginge es nach mir, so würde aus dem halben Jahr ein ganzes. Da ist aber noch mein Mann, der sich dort, wo wir wohnen, absolut zu Hause fühlt. So ist unsere Lösung – typisch schweizerisch – ein Kompromiss.

    Ich wünsche dir eine gute Zeit
    Barbara

    • Das Leben ist ein einziger großer Kompromiss für die meisten von uns – egal ob in einer Beziehung/Ehe oder nicht.
      Und ja, die Wirren des letzten Jahrhunderts haben wirklich Spuren hinterlassen. Nicht nur die Kriege, sondern auch die Wanderbewegungen (Vertreibung, Armut) – und das immer Kleiner-Werden der Welt – mit den neuen Transportmöglichkeiten (immer billigere Flugzeuge, immer schnellere Autos) – sorgt für eine größere Durchmischung. Und jetzt kommen wieder Kriegsflüchtlinge.

  12. Ein sehr guter Text, vieles kann auch ich nur mit nicken bestätigen.
    Heimat, nicht immer leicht zu erklären und verständlich zu machen, ich kann deinen Worten aber gut folgen.

  13. Schwester Ingeborg

    Warum machst du dein Heimatgefühl von den „Alteingesessenen“ abhängig. Heimatgefühl kann dir kein anderer geben als du selbst. Und in deinem Fall kann man wohl sagen:“Heimat ist, wo deine Katze schnurrt.“ ☺

    • Nicht da, wo mein Kater schnurrt? 😉
      Ich muss dir ja grundsätzlich recht geben – die Meinung anderer Leute stört mich sonst doch auch recht wenig. Aber Heimat – nun, ich hab den Eindruck, ich dränge mich auf, wenn ich einen Ort als Heimat bezeichne, an dem mich die Alteingesessenen NUR als zugezogen betrachten.

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